Die Sache mit Photoshop...

Nicht selten wird man als Naturfotograf mit bestimmten Fragen oder Bemerkungen konfrontiert, die in etwa in folgendem Zitat münden: „Die Bilder sind wirklich schön, aber sind die bearbeitet?"  Dann heißt es für mich erstmal ganz tief durchatmen.  Daher möchte ich an dieser Stelle gerne die Dinge erklären.

Die Lesezeit für die folgenden 5 Kapitel beträgt skandalöse 5 Minuten, aber danach sollten keine Fragen mehr offen bleiben ;-)

Man könnte (Natur-) Fotografen in puncto Bildbearbeitung pauschal in zwei Gruppen unterteilen. Diejenigen, die das Thema Bildbearbeitung eher locker nehmen oder sich als Künstler, Visual Artist oder Grafiker verstehen. Für sie zählt das Endergebnis und das Hinzufügen, Entfernen oder Verändern von Bildelementen sind erlaubt. Da wird hier etwas Unerwünschtes "weggestempelt“ und dort noch ein paar Sonnenstrahlen eingefügt. Innerhalb dieser Gruppe gibt es aber auch große Unterschiede. Von der kleinen Retusche bis hin zur Kreativstudio-Bearbeitung ist alles vertreten.

Dann gibt es die zweite Gruppe von Fotografen, die nicht derart in die Bilddatei eingreifen. Aus den verschiedensten Gründen, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte. Ich halte mich an die Richtlinien der großen internationalen Wettbewerbe, etwa der Gesellschaft deutscher Naturfotografen (GDT), die auf Authentizität ausgerichtet sind. Somit gehöre zur "zweiten Gruppe". Wobei ich unbedingt anmerken möchte, dass die "erste Gruppe" genauso zu respektieren ist. Unter ihnen sind ebenso viele gute Fotografen, sie setzen sich in der Bildbearbeitung nur weniger Restriktionen aus.


Doch hier kommt der erste springende Punkt: "Bearbeiten" müssen beide Gruppen von Fotografen das Bild. Im Sinne einer Entwicklung. Ähnlich wie man das früher mit einem Negativfilm machen musste. Denn das "Raw"-Format, in dem ambitionierte bzw. professionelle Fotografen ihre Bilder aufnehmen, ist noch gar kein richtiges Bildformat, sondern praktisch ein "digitales Negativ". Insofern macht nämlich die Frage "Sind die Bilder bearbeitet?" bei einem Fotografen, der im RAW-Format fotografiert, wenig Sinn. Wenn die "Bilder" nicht bearbeitet wären, wären sie noch keine Bilder.

Warum muss ich nun tief durchatmen, wenn ich die Frage nach Photoshop beantworten muss? Weil man, und das gilt auch für viele ambitionierte Fotografen der ersten Gruppe, sehr viel Aufwand und Akribie investieren muss, um überhaupt regelmäßig farbintensive Momente einzufangen. Ich möchte im Folgenden einen Blick hinter die Kulissen werfen und die Top-5-Gründe für Farbintensität erläutern,  die häufig nicht berücksichtigt werden...

1. Kalibrierung: der Schein trügt

Fast alle Tablets, Monitore, Smartphones, LED-Fernseher etc., auf denen sich Menschen Bilder anschauen, sind nicht „kalibriert“. Sie sehen Bilder oder Videos nicht mit ihren echten Farben, sondern mit übersättigten Farben und Kontrasten. Macht ja für den Normalanwender auch irgendwie Sinn - wer möchte nicht, dass die schönen Urlaubsfotos, die in Realität vielleicht etwas flau sind, da mit einfachen Mitteln fotografiert, ein satten blauen Himmel und saftige grüne Wiesen zeigen? Stichwort schöne bunte Welt.

 

Hat jedoch die (professionelle) Ursprungsdatei bereits eine satte aber noch realistische Farbintensität, wird sie an nicht kalibrierten Geräten überzogen dargestellt. In der Tat kann es dann vorkommen, dass Farben unrealistisch erscheinen, die es de facto gar nicht sind.

 

An diesem Beispiel möchte ich kurz erklären, warum eine „Kalibrierung“ überhaupt relevant ist: Nehmen wir an, ihr möchtet also eines eurer Urlaubsfotos als Wandbild ausdrucken. Ein guter, professioneller Anbieter/Drucker wird das Bild nun „kalibriert“ zu Papier bringen. Wo ihr euch gerade noch über die Strahlkraft des Bildes auf eurem Tablet gefreut habt, erlebt ihr dann euer flaues Wunder. Die Farben werden anders sein, die Helligkeit auch (das Bild ist meist zu dunkel) und die extrem hellen und dunklen Bildanteile sehen irgendwie komisch aus. Um das möglichst zu vermeiden, habt ihr bei professionellen Anbietern die Wahl bei „Bildoptimierung“ ein Häkchen zu setzen. Tut ihr das, erfolgt eine pauschale Bearbeitung (Kontrast und Sättigung hoch, Helligkeit nach oben etc), die aber bei knapp der Hälfte eher zu einer Verschlimmbesserung führt. Habt ihr an dieser Stelle einen kalibrierten Monitor, könnt ihr einfach den Haken herausnehmen (keine Bildoptimierung) und das Bild sieht ganz genau so aus wie zu Hause am Monitor.

 

Fazit: Die überwiegende Anzahl der oben genannten „Photoshop-Fragen“ würde ohnehin schon wegfallen, wenn die echten Farben auf einem kalibrierten Monitor betrachtet würden. Selbst ambitionierte Hobbyfotografen besitzen aber nur selten echte, Hardware- (nicht Software-) kalibrierte Monitore.

2. Farbexplosionen: dem Zufall auf die Sprünge helfen

Intensive Farben entstehen häufig in intensiven Situationen, die nicht alltäglich sind. Wenn hinter einem kräftig blau gefärbten Eisberg Photoshop vermutet wird, liegt das häufig daran, dass viele Menschen nur das glauben, was sie selbst schon einmal gesehen haben. Das gilt auch für Himmelsfärbungen bei Sonnenaufgängen und viele weitere Ereignisse in der Natur. Sie sind doch so selten, wieso ist dann jedes zweite Bild aus den hier gezeigten Bilderserien so bunt? Nun ja, dem Zufall kann man schließlich auch auf die Sprünge helfen.

Nehmen mir beispielsweise einen 2wöchigen Mallorcaurlaub im Sommer: wer stellt da schon seinen Wecker auf 4.15 Uhr, um gegen 5.45 Uhr im Naturschutzgebiet „Albufeira" die wenigen, potenziell farbintensiven Minuten bei Sonnenaufgang zu erleben? Naturfotografen tun dies. Und zwar auf einer 14-tägigen Reise 14 Mal.

 

Für den Abend gilt das Gleiche: um 20.00 Uhr steigt man nochmal ins Auto, um gegen 22.00 Uhr den Sonnenuntergang , etwa am „Cap Formentor", einzufangen. Das sind dann summa summarum 28 Sonnenauf- und -untergänge in zwei Wochen. Ungefähr 24 Mal zeigt sich dann ein schöner, aber nicht gerade spektakulärer Himmel, so wie „man ihn kennt“. Diese Bilder bekommen z.B. meine Website-Besucher häufig gar nicht erst zu sehen bzw fotografiere ich dann auch meist keine  Panoramen mit Himmelsfarben, sondern konzentriere mich auf andere Naturdetails.

Farbintensive Momente erlebt man also vielleicht eine Hand voll, und dann sieht der Himmel - zumindest für einen kurzen Moment- auch „nach Photoshop aus“. Diesen hohen Aufwand gilt es zu berücksichtigen.

 

Fazit: die Bilder von hochwertigen Bilderserien zeigen nie einen repräsentativen Eindruck der (Reise-)Erlebnisse, sondern nur eine kleine, nach ganz bestimmten Kriterien getroffene, Selektion.

3. Das menschliche Auge kann nicht zoomen

Bei Betrachtung der nachfolgenden Szenen sehe ich mich ab und zu schonmal mit der Bemerkung konfrontiert, die Farben seien unrealistisch, da ein Himmel doch auch immer einen Farbverlauf habe. Stimmt, fast immer hat der Himmel einen bestimmten Farbverlauf - nur setzt das voraus, dass man auch den ganzen Himmel sieht, so wie es das menschliche Auge nur tun kann.

In der Fotografie kann ich aber auch kleine Ausschnitte des Himmels durch Telebrennweiten abbilden. Wenn ich das bei den vorliegenden Motiven tue, ist vom Farbverlauf nur noch wenig zu sehen und ich habe einen fast einfarbigen intensiv gefärbten Hintergrund, ohne irgendwelche Himmelsfarben gefälscht zu haben. Die richtige und manuelle Einstellung des "Weißabgleiches" trägt ebenfalls dazu bei - auch etwas, dass viele Normalanwender und Hobbyfotografen nicht nutzen.

4. Belichtungszeit: die vierte Dimension

A. Nun folgt das wichtigste Kapitel: dem menschlichen Auge fehlt nicht nur die Fähigkeit zu zoomen, sondern auch die Fähigkeit, die Dimension von Langzeitbelichtungen wahrzunehmen. Auch Filme können dies nicht. Das ist ein Punkt, der mich an der Fotografie fasziniert und den ich als Stilmittel immer wieder einsetze, auch wenn das nicht jedermanns Geschmack ist. In Bezug auf die nachfolgenden Bilder hört man zum Beispiel „das sieht ja aus wie gemalt, das ist Photoshop, oder?“.

 

Nein, ist es in keinster Weise. Es wurde nur länger belichtet, wobei sich für den malerischen Effekt nur bestimmte Belichtungszeiten eignen, die von der Fließgeschwindigkeit des Wassers abhängig sind. Solche Aufnahmen funktionieren ausschließlich mit Stativ. Auch deshalb fotografiere ich ausschließlich mit Stativ.

B. Das gleiche gilt übrigens auch für Fotos der Milchstraße: mit bloßem Auge kann man auch diese nicht in der vorliegenden Intensität erkennen. Bei einer 20-sekündigen Belichtung kommen aber auch die ganz schwach strahlenden Sterne zum Vorschein, ganz ohne Photoshop. Übrigens, bei Polarlichtern und den leuchtenden Eisbergen meiner Islandserie greift genau der gleiche Effekt - nicht nur hier sieht die Kamera mehr als das menschliche Auge. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

 

Bei Anblick solcher Bilder erhalte ich ab und zu die Rückmeldung, dass der Eindruck etwas unrealistisch erscheint und womöglich Photoshop dahinter steckt, solche Dinge könne man nicht mit bloßem Auge sehen. Tja, das mit dem bloßen Auge stimmt auch, so ist es! Genau das ist ja das Faszinierende an der Fotografie - sie kann Dinge sichtbar machen, die ein Mensch nicht zu sehen vermag.  Die Annahme, dass diese Szenen jedoch am Computer entstehen, ist einfach falsch.

C. Last but not least: selbst bei der Art der Farben kann man durch eine lange Belichtung tolle Effekte hervorrufen. Bei den nachfolgenden Bildern etwa befanden sich die Motive vollständig im Schatten, diesen kann man bei solch kleinen Motiven ja einfach durch den eigenen Körper erzeugen. Lediglich der Hintergrund ist von der Sonne angeleuchtet.

 

Um das kleine Motiv im Bild nun auf eine „normale Helligkeit“ zu bringen, muss man außergewöhnlich lange belichten. Dabei ändert bzw. erhellt sich automatisch auch die Farbe des Hintergrundes: aus einer normal grünen Wiese wird ein ganz helles Pastell-grün und aus einer dunklen orange/braunen Laubdecke werden hell-orange, fast gelbe Töne. Diesen Effekt nutzt man bei vielen Tieraufnahmen, um diese schönen Hintergrundfarben zu erzeugen. Auch hier, ganz ohne Photoshop, nur mit Licht und Schatten.

5. Farben fangen bei der Planung an

Ein großer Aufwandstreiber, der die oben genannten Situationen/Wetterlagen und einhergehenden Farben begünstigt: Fortgeschrittene Naturfotografen planen Reisen extrem genau – hier am Beispiel der Landschaftsfotografie: die genaue  Zeitpunkt der Reise ist von der Kombination zwischen dem Sonnenstand, dem Mondstand und dem Tidenstand abhängig. Dazu nutzt man z.B. die App „The Photographers Ephemeris“, die auf einen in der Landkarte ausgewählten Punkt hin genau den Einfallswinkel der Morgen- bzw. der Abendsonne berechnen kann. Daraus kann man ableiten, ob dort überhaupt direktes Sonnenlicht ankommt und  sich der Spot eher morgens oder abends eignet. Für starke Farben und intensives Licht müssen die Sonnenstrahlen möglichst barrierefrei auf das Motiv fallen können.
Außerdem muss man das Ganze dann noch mit den Gezeitenständen abgleichen, etwa auf www.tide-forecast.com. Wenn ich beispielsweise in Asturien "Tidenpools" bei Ebbe fotografieren will, nutzt es mir wenig, wenn während meines Reisezeitraums nur bei hartem Mittagslicht Ebbe herrscht.
Möchte man auch noch nachts die Milchstraße fotografieren, ist es etwa ungünstig, wenn der Reisezeitraum auf den Vollmond fällt, da der Himmel dann zu hell ist.

Und schließlich gilt es noch organisatorische/logistische Dinge zu berücksichtigen, wenn ich in den farbintensiven Momenten vor Ort sein möchte: Anfahrten, Heimfahrten und Wanderungen zum Spot geschehen meist im Stockdunkeln, das setzt eine gute Vorbereitung sowie Wartung der Ausrüstung (Stirnlampen etc.) voraus.
Und im Dunkeln ist wirklich vieles ganz anders. Z.B. bei der Anreise mit dem Auto. Wer mal versucht hat, an einer unbekannten Stelle auf Island oder den Lofoten bei reichlich Neuschnee in der Nacht den Unterschied zwischen einem Parkplatz und einem unbefestigten Untergrund zu "ermitteln", weiß wovon ich rede ;-)

Und zu guter Letzt, eine normale Hotel-Logistik kann man ohnehin vergessen: zu Frühstückszeiten wird fotografiert und zum Abendessen ebenfalls. Will man alle potenziell farbintensiven Momente erleben, muss man beinahe die gesamte Reise darauf abstimmen.


Fazit

Wer nun tapfer durchgehalten hat und den -definitiv nur in Teilen skizzierten- Aufwand für „bunte Bilder“ nachvollzogen hat, der kann jetzt vielleicht verstehen, warum der ein oder andere Fotograf bei der Ursprungsfrage „Photoshop, oder?“ erstmal tief durchatmen muss.

 

Aaaaaber zukünftig muss ich ja gar nicht mehr antworten, sondern verschicke einfach nur noch diesen Link ;-)

Mit besten Grüßen,

Thomas